Eine zivile Siedlung namens VINDOBONA – Folge 1

Autorinnen: Ingrid Mader und Michaela Müller

Das Wiener Stadtgebiet ist durch eine mehrstufige Terrassenlandschaft gegliedert, die in der Eiszeit entstanden ist. Von der plateauartigen Erhebung im 1. Bezirk war schon in einem früheren Beitrag im Zusammenhang mit der Entstehung des Legionslagers zu lesen. Die naturräumlichen Gegebenheiten hatten selbstverständlich für die Entwicklung der Siedlungen unterschiedlicher Zeitstufen von der Jungsteinzeit über die Bronzezeit bis in die Eisenzeit (letztere beginnt etwa 800 v. Chr., Hallstattkultur, La Tène-Kultur) und Römerzeit Wichtigkeit. Die Stadtterrasse setzt sich östlich des Wienflusses fort und dort (heute: 3. Bezirk) entstand nördlich und südlich entlang des Rennweges eine zivile römische Siedlung.

Der Wiener Raum mit den Siedlungsbereichen in der Römerzeit. Die dunklen Stellen sind tief liegende und die hellen Stellen hochliegende Bereiche. Schwarze Linie = Querstraße am Ostrand der Zivilsiedlung. (Plan: Stadtarchäologie Wien/Martin Mosser; Plangrundlagen: MA 14 – ADV/MA 41 – Stadtvermessung; MA 8 und Geologische Bundesanstalt)

Wer sagt denn, dass entlang des Rennwegs eine römische Stadt bestand?

Es wird angenommen, dass sich der Name „Vindobona“ von einem keltischen Wort ableitet und als Ortsname von einer in der Nähe befindlichen keltischen Ansiedlung übernommen worden ist. Eine frühe Erwähnung hat sich als Vin[…] auf einer Ehreninschrift in Rom erhalten. Diese wird in die 1. Hälfte des 2. Jahrhunderts datiert. Weitere Belege finden sich auf Ziegeln des zivilen Fabrikanten M. Antonius Tiberianus, der mit der Abkürzung VINDOB stempelte (Datierung: spätes 2. Jahrhundert). Seine Fabrik war zudem auch im 3. Bezirk (Mechelgasse 1) ansässig. [1]

Ziegel, gefunden am Rennweg 16. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Nikos Piperakis)

Weitere literarische Quellen mit der Namensnennung, wenn auch gelegentlich in veränderter Schreibweise, finden sich bei Claudius Ptolemaius (gest. nach 160 n. Chr.), in der Tabula Peutingeriana (Original in spätrömischer Zeit entstanden und benannt nach seinem zeitweiligen Besitzer Konrad Peutinger, 1465–1547), und im Itinerarium Antonini (Entstehungszeit: 3. Jahrhundert) – um einige zu nennen.

Von den für die Forschungsgeschichte von Vindobona bedeutenden Persönlichkeiten sei allen voran Herr „Nowalski“ erwähnt. Josef Hilarius Nowalski de Lilia (1857–1928) war Archäologe und führte seine ersten Ausgrabungstätigkeiten in Carnuntum durch. Im Jahre 1892 entstand für Wien eine Liste mit zum Abbruch freigegeben Gebäuden. Deshalb beschloss die Central-Comission 1895 aufgrund der anfallenden Bergungsarbeiten möglicher Fundobjekte, Mitglieder der k.k. Central-Comission (heute: Bundesdenkmalamt) mit der Beobachtung der Baustellen zu betrauen. Die Wahl fiel auf Nowalski, der somit bis 1922 Inspektor der (römischen) Ausgrabungen Wiens war. Er betreute oft mehrere Baustellen gleichzeitig und führte unermüdlich Fundtagebücher. Das ist echt cool! Die Skizzen und Notizen Nowalskis sind – wie schon in anderen Beiträgen erwähnt – sogar erhalten und für uns sehr hilfreich.

Scan einer Originalskizze von J. H. Nowalski de Lilia aus den „Fundakten des Historischen Museums der Stadt Wien“: Unten hat er einen kleinen Raum von der Seite und von oben gesehen dargestellt – beides je zweimal, um alles deutlich zu machen. Dieser Bau befand sich 2,5 m tief und wurde meist in Zusammenhang mit den Gräbern in der Steingasse gebracht. (Wien Museum MV 96859/1-2)

Er befasste sich nicht nur mit den Fundobjekten (Münzen, Keramikscherben, Knochen), sondern ebenfalls mit den Kulturschichten. So beschrieb er auch den Befund (Erdschicht oder Baustruktur), aus welchem der Fund geborgen wurde, und fertigte dazu Vermessungsskizzen an. Nowalski kann daher als der erste Stadtarchäologe von Wien angesehen werden.

Originalplan der Befunde der Grabung Rudolfstiftung aus dem Jahr 1909. (Plan: F. Miklaucic, A. Kaurzik, Nowalski de Lilia)

Friedrich von Kenner (1834–1922) hingegen war ein publizierender Wissenschaftler, der die Notizen Nowalskis benützte, um die neuesten Erkenntnisse aufgrund der römischen Bodenfunde in der Fachwelt bekannt zu machen. Seit 1854 am Wiener Münz- und Antikenkabinett angestellt, beschäftigte er sich vorzugsweise mit Numismatik (Münzkunde). Er war auch Mitglied der Akademie der Bildenden Künste und der Zentralkommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale.

Plan aus der Publikation F. v. Kenner, Forschungen in Vindobona. (Jahrbuch für Altertumskunde 3, 1909 [1910] Beiblatt, Tafeln V, VI): Hier wurden Töpferöfen eingemessen zu denen 100 Jahre später etwas südlich davon auf den Aspanggründen verschiedene Gruben mit Keramik und Töpfereiabfällen gefunden wurden.
Erstmals war man sich bewusst, dass ein Fund nur dann eine Geschichte vermitteln kann, wenn man auch den Fundort festhielt, also seine Adresse angab und/oder die Fundstelle in eine Karte einzeichnete.

Wilhelm Kubitschek (1858–1936) war Professor für Alte Geschichte und römische Altertumskunde. Außerdem war er ebenfalls Direktor der kaiserlichen Münzen- und Medaillensammlung sowie Generalkonservator der antiken Denkmale Österreichs. Er übernahm als Leiter der Zentralkommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale außerdem die Redaktion der Jahrbücher und Mitteilungsblätter.
Friedrich von Kenner und Wilhelm Kubitschek fixierten damals die Lage des römischen Legionslagers im 1. Bezirk. Ein weiteres Gebiet mit vielen römischen Funden im dritten Wiener Gemeindebezirk bestimmten sie als Zivilstadt.
Heute fällt im Kulturgüterkataster der Stadt Wien die Funddichte in der Inneren Stadt und in Landstraße auf.

Der rechtliche Status der römischen Siedlungsbereiche außerhalb des Legionslagers kann nicht eindeutig bestimmt werden. Obwohl keine zuverlässigen Beweise dafür vorliegen, wurde auch die Siedlung im 3. Bezirk traditionellerweise als „municipium“ bezeichnet. Munizipium meint eine städtische Siedlung mit römischem Bürgerrecht und eigener Verwaltung. Einzelne – fragwürdige Inschriftenfragmente sind uns als Zeichnungen überliefert, die Originale allerdings nicht. Eine Weiheinschrift soll beim Bau der Schottenbastei im 16. Jahrhundert gefunden worden sein. Die Abschrift des Wiener Humanisten Wolfgang Lazius (1514–1565) wird bis heute als Beweis dafür heran gezogen, dass Vindobona ein Munizipium war. Nach der Lesung Lazius wird ein gewisser C. Marcius Marcianus als Präfekt der cohors fabiane genannt, der auch decurio u.a.m. des Munizipium Vindobonae gewesen wäre (CIL III, 4557)

Angaben zum Inschriftenstein aus W. Kubitschek, Vindobona, In: Xenia Austriaca 1/I (Wien 1893) 47: Es handelt sich also um eine Weihung an das personifizierte Wohlergehen der Götter. Der Stifter war decurio (Gemeinderat), Stadtrat für Finanzen, Stadtrat für Markt- und Bauwesen, Bürgermeister und Stadtrichter. Und dann noch je nach Lesung Vorstand einer Handwerkervereinigung oder ein Kohortenpräfekt. Aber, der Stein ist leider verloren gegangen, sodass die Abschrift nicht mit dem Original verglichen werden kann. Vielfach wird eher die Meinung vertreten, dass Lazius interpretiert hätte, um Wien zu einer glorreichen Vergangenheit zu verhelfen.

Gab es (eine keltische) Vorgängersiedlung(en) im Bezirk Landstraße?

Die Römer waren nicht die Ersten! Und nicht einmal die Kelten: Auch in der Gegend östlich des Wienflusses und unmittelbar südlich der Donau (zum Teil nun 3. Bezirk) kamen ein paar jungsteinzeitliche Siedlungsreste sowie bronzezeitliche Gräber und einzelne Fundobjekte aus der Hallstattzeit zutage. Während Befunde (Gruben, Bauten, Gräber,…) und Funde aus der Früh- und Mittellatènezeit ist diesem Bereich kaum noch bekannt sind,
werden Funde aus der Spätlatènezeit immer häufiger. Die vorrömischen Fundstellen sind im Stadtplan der Stadt Wien Kulturgut grün eingetragen.

Kartierung der latènezeitlichen Fundstellen im Wiener Stadtgebiet. (Plan: Stadtarchäologie Wien)

Die Einzeichnung der spätlatènezeitlichen Fundstellen auf Karten von Wien zeigt, dass von den Kelten vor allem Siedlungsplätze in den südlicher gelegenen Flusstälern der Wienerwaldflüsse bzw. in den Donauauen bevorzugt wurden. (Die auch als „La Tène D“ bezeichnete Zeitstufe erstreckte sich insgesamt von circa 150 v. Chr. bis 15 v./Endes des 1. Jh. v. Chr. Die keltischen Siedlungen im Wiener Raum sind noch nicht ganz so lang belegt). Altgrabungen, die in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts und vermehrt in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts durchgeführt wurden, förderten außerdem eher nur wenige Einzelfunde zutage. Doch in den letzten Jahren sind Siedlungsreste wie Hütten und Brunnen dokumentiert worden, die sich allesamt nördlich der späteren römischen Siedlung befanden. Nach dem aktuellen Forschungsstand ergibt sich das Bild, dass alle Siedlungsbefunde der spätkeltischen bis frührömischen Zeit (bis 1. Jh. n. Chr.) im 3. Bezirk auf der Stadtterrasse lagen, begrenzt von der Donau im Norden und dem Wienfluss im Westen.
In der Engelsberggasse 3/Riesgasse 4 wurden 1926 zwei Töpferöfen entdeckt. Ein Teil der auf diesem Grundstück gefundenen Keramik könnte spätlatènezeitlich und ein Teil sogar frührömisch zu bestimmen sein. Auf dem südlichen Areal der Krankenanstalt Rudolfstiftung und im Bereich Ungargasse/Rennweg fanden sich Grubenäuser, also rechteckige Hütten deren Böden bis zu einem Meter unter die Terrainoberfläche eingetieft waren.

Ausgraben und Dokumentieren eines Grubenhauses in der Klimschgasse/Rudolfstiftung 1999. (Foto: Stadtarchäologie Wien/ Joachim Ehrenhöfer)

Von besonderem Interesse ist der erst vor wenigen Jahren ausgegrabene spätkeltisch-römische Siedlungsbereich am Rochusmarkt (Rasumofskygasse/Kundmanngasse). Dort fanden sich überwiegend spätlatènezeitliche Keramik, Münzen sowie Tüpfelplattenfragmente (Gussformen aus Ton für die Herstellung von Münzen, eigentlich von dann noch zu prägenden Schrötlingen). Feine, meist aus Italien importierte Keramik, Amphorenfragmente, Schreibgriffel aus Tierknochen, eine Siegelkapsel und einige Fibeln sind in das 1. Jahrhundert v. Chr. zu datieren. Diese römischen Fundobjekte könnten auf die Anwesenheit von römischen Handelsleuten hinweisen. Die Erstauswertung der Grabung in der Rasumofskygasse ergibt, dass die Siedlung im dritten Viertel des 1. Jahrhunderts vor Chr. geendet hat.
Alle diese Funde und Befunde lassen auf mehrere kleinere Siedlungen dieser Zeitstufe schließen.
Spärlich entdeckte keltische Einzelfunde nördlich und südlich entlang des Rennweges, die in den alten Fundtagebüchern gelegentlich erwähnt werden, zeugen möglicherweise von Handelsaktivitäten, die ohne Zweifel entlang der wichtigen West-Ost-Verbindung stattfanden.

Wann genau die Ansiedlung in der Römerzeit begann, liegt noch etwas im Verborgenen, doch hängt es natürlich mit dem Militärlager im 1. Bezirk zusammen. So können wir zumindest ab 100 n. Chr. mit den ersten Aktivitäten und im fortgeschrittenen 2. Jahrhundert mit richtigen Gebäuden rechnen. Mehr dazu das nächste Mal!

[1] siehe auch Ziegeldatenbank http://tiles.chc.sbg.ac.at/ Nr.2850 – 2893, bes. 2865.